Wir sind ein bunter Haufen

Unter diesem Titel gab es in der HAZ am 11.6.2016 einen großen Artikel zum Thema Inklusion im Sportunterricht im Zusammenhang mit den erfolgreich verlaufenen Special Olympics in Hannover, den wir hier nachfolgend wiedergeben:

 Eine Woche lang haben Behinderte bei den Special Olympics Spitzenleistungen gezeigt. Aber wie sieht ihr Alltag aus, etwa in ganz normalen Schulen? Ein Besuch im Sportunterricht an der IGS Roderbruch.

VON SASKIA DÖHNER
 
Aleyna ist kleiner als die anderen. Aber im Sportunterricht ist sie mittendrin. Weil die 16-Jährige mit ihren Armen nicht bis an die Rollstuhlräder reicht, wird sie beim Um-die-Wette-Fahren eben von einer Mitschülerin geschoben. Aber das fällt nicht weiter auf, sondern geschieht ganz selbstverständlich. Im Sportunterricht bei Tobias Eidt an der Integrierten Gesamtschule Roderbruch verschwimmen die Grenzen zwischen behindert und nichtbehindert. Da gibt es nur Jugendliche, die lachen und schwitzen. Manche vom Rennen, andere vom Rollen.

Eidts 8. Klasse probiert an diesem Vormittag Basketball-Sportrollstühle aus. Früher hat die Schule für Sportfest oder Arbeitsgemeinschaften immer Rollstühle beim Behindertenverband ausgeliehen und „umständlich durch die ganze Stadt gefahren“, wie sich Sonderpädagogin Susanne Heise (Foto)  erinnert. Jetzt besitzt die IGS selbst vier Sportrollstühle. Zwei davon hat der Förderverein gespendet, immerhin kostet einer schon 2500 Euro. „Das war es uns wert“, sagt die Erste Vorsitzende des Fördervereins, Andrea Kronemeyer. „Das Konzept der Schule hat uns überzeugt.“

Die Achtklässler fahren vor- und rückwärts, um die Wette und dribbeln später dazu auch noch mit einem Basketball. Während die anderen den Korb treffen müssen, zielt Aleyna auf das Brett, an dem der Korb hängt. In der Pädagogensprache nennt man das Differenzierung. Sportlehrer Eidt macht darum kein Aufhebens, die Schüler auch nicht. Ein Mädchen, das kurz protestiert, muss gleich darauf über seinen unbegründeten Protest selbst schmunzeln. 

 Dass ein Schüler eine Übung mal nicht kann, ist normal. Dass es manchmal aufgrund körperlicher Gegebenheiten nicht klappt, auch. „Ist doch klar, dass wir Aleyna helfen, jeder hilft jedem“, sagt Laura. Fast klingt es, als könne sie die Frage nach der Kleinnwüchsigen nicht verstehen. Die 16-Jährige ist gerade einmal ein Dreivierteljahr in der Klasse. Eingewöhnungsschwierigkeiten gab es keine. „Sie gehörte von Anfang an dazu“, sagt Klassenlehrerin Kim Ulrich. In der Mädchenclique fand sie gleich Anschluss und gute Freundinnen wie Laura. Aleyna selbst drückt es so aus: „Es ist schön hier.“ Ulrich, die Deutsch, Natur und kooperativen Religionsunterricht gibt, schwärmt: „Meine Klasse hat ein großes Herz.“

Der Erfolg liegt wohl in der Gelassenheit der beteiligten Schüler und Lehrer. Der Rollstuhl wird hier nicht als Fremdkörper, sondern als Sportgerät gesehen. Berührungsängste hat keiner der Schüler. Im Gegenteil: „Man kann sich besser vorstellen, wie es ist, im Rollstuhl zu sitzen, wenn man es mal selbst ausprobiert hat“, sagt Bjarne, 14. „Nur: Wir können wieder aufstehen und gehen. Wer immer im Rollstuhl sitzt, kann das nicht.“ Sportlehrer Eidt nickt zustimmend, als er das hört. „Das hätte ich nicht besser ausdrücken können.“

An der IGS Roderbruch lebt man den Geist der Inklusion schon lange. „Jeder Schüler ist anders, und das akzeptieren alle“, sagt Schulleiterin Brigitte Naber. Viele Kinder kennen das gemeinsame Lernen mit Behinderten schon seit der ersten Klasse. Was für andere Schulen fremd wirkt, ist hier Alltag.

Inklusion in Schulen ist seit 2013 in Niedersachsen Gesetz. Endlich müssen Eltern nicht mehr darum kämpfen, dass ihre Kinder eine Regelschule besuchen dürfen. Früher hatten sie teils erniedrigende Bittgänge hinter sich, so wie vier Elternpaare aus dem Kreis Goslar, die alle weiterführenden Schulen anschrieben, weil sie ihre vier geistig behinderten Kinder, die seit der Kita und der Grundschule zusammen gelernt hatten, auch weiterhin gemeinsam auf eine Schule schicken wollten. Am Ende erklärte sich nur das Werner-von-Siemens- Gymnasium in Bad Harzburg zur Aufnahme der Kinder bereit. Es war wohl auch der emotionale Auftritt der Familien im Kultusausschuss des Landtages damals, der beim Thema Inklusion eine Große Koalition der Parteien zusammenschmiedete.

Drei Jahre später ist in vielen Schulen Ernüchterung eingekehrt. Die äußeren Umstände machen das gemeinsame Lernen schwierig: zu kleine Räume, zu wenig Unterstützung durch Sonderpädagogen, aber auch die inneren Vorbehalte sind bei Eltern und Lehrern immer noch groß. Sprengt das verhaltensauffällige Kind, das immer unter dem Tisch hockt, den Unterricht? Leidet das Lernniveau, wenn Kinder mit Downsyndrom mit im Klassenzimmer sitzen, oder steigt nicht vielmehr die soziale Kompetenz aller Schüler?

Für die 28 Schüler von Kim Ulrich sind derartige Debatten weit weg von ihrem Schulalltag. „Heterogene Lerngruppen hatten wir schon immer“, sagt Schulleiterin Naber. Mit den besonderen Kindern sei es eben noch ein bisschen heterogener. „Wir sind ein bunter Haufen“, sagt Lehrerin Heise. Und das meint sie als Kompliment.

 

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